Geschichtlicher Überblick

Ein geschichtlicher Überblick "Langenthals", verfasst von Langenthals ehemaligem Stadtchronisten Simon Kuert.

Zum Namen
Langenthal ist ein sogenannter DUNUM-Name. Der Ortsname hat sich aus der vorgermanischen Form „Langadunum“ entwickelt. Das Grundwort „dunum“ bedeutet keltisch: „Befestigter, bzw. eingehegter Platz“. Das Bestimmungswort „Langa“ ist der alteuropäischen Bezeichnung von Wasser zuzuordnen und bezeichnet den Bach. Somit bedeutet der Name: Der befestigte Platz an der Langa. Als „Langatun“ wird der Ort erstmals schriftlich erwähnt (861). Über „Langetten“ (1413) formte sich in der frühen Neuzeit „Langenthal“ (1577).

Geographische Lage
Langenthal liegt am Unterlauf der Langete, dort wo das Tal sich weitet und auch andere lokale Gewässer (Sagibach, Schulbach) dem Bach zufliessen. Im Raume von Langenthal münden drei eiszeitliche Schmelzwasserrinnen, welche die Voraussetzung für die günstige Verkehrslage bilden. Den Talrinnen folgen naturgemäss die Bahn- und Strassenlinien. Umgeben ist der Ort von ausgedehnten, meist höher gelegenen Wäldern: Im Süden Brandholz und Handbüehl im Westen der Schorenwald. Im Norden teilt Langenthal den Hardwald mit Aarwangen. Das grösste zusammenhängende Waldstück, welches sich im Osten zwischen Langenthal und dem Rottal ausdehnt, wird von frühen Rodungen unterbrochen (z.B. Aspi, Bohärdli, Bernholz, Rickenzapfen und Hinterberg).

Von der Urgeschichte ins Mittelalter
Archäologische Funde aus dem Mesolithikum zeigen, dass die Talebene früh besiedelt war. Neu beweisen das auch die Rettungsgrabungen, die im Zusammenhang mit dem Projekt „Bahn 2000“ im Unterhard durchgeführt wurden. Die Archäologen wiesen insgesamt 123 Gräber und Siedlungsstrukturen aus verschiedenen Epochen nach. Aus der Hallstattzeit (8. Jahrhundert vor Christus) fanden sich bedeutende Grabbeilagen wie Armringe, Gürtelschnallen, Ohrringe und Ringgehänge aus Eisen und Bronze. Aus der Latènezeit (etwa 2. Jahrhundert vor Christus) stammt ein Pfostenhaus mit Wohn- und Kellergewölbe. Die Funde aus der Römerzeit (vier Brandgräber mit Keramik- und Glasbeigaben) lassen auf einen römischen Friedhof schliessen. Bedeutende römischen Spuren konzentrieren sich aber auf das Gebiet um die Kirche. Auf dem Kirchenfeld kam 2004 bei Grabungen ein römischer Gutshofkomplex zum Vorschein mit dem (vermuteten) Zentrum einer grösseren Villa am Standort der heutigen Kirche. Bereits 1956, beim Bau des Kirchgemeindehauses, war man auf einen Bäderkomplex gestossen. Die Kombination der Geissberg-Grabungen mit denjenigen im Unterhard ergibt eine bedeutende Ausdehnung der römischen Siedlung. Die Beigaben der 93 frühmittelalterlichen Gräber aus dem 6./7. Jahrhundert lassen vermuten, dass sich die ansässige kelto-romanische Bevölkerung mit Siedlern aus dem burgundischen (Westen) und alamannischen (Hochrhein, Bodensee) Raum vermischt hat. Es mögen im Unterhard Vorfahren jener freien Alamannen begraben sein, in deren Händen wir bald darauf das Langetental und die Dorfmarch von Langenthal finden. Es waren Siedler aus einer alamannischen Grosssippe aus der Ostschweiz mit dem Leitnamen „Adalgoz“. Sie vermachten zwischen 795 und 886 ihren Besitz im Oberaargau dem Kloster St. Gallen, 861 u.a. auch Besitz in Langenthal. Im 10./11. Jahrhundert liegt die Ortsgeschichte im Dunkeln. Erst im 12. Jahrhundert taucht Langenthal in Urkunden als Teil der Herrschaft der Freiherren von Langenstein wieder auf. Diese hatten 1194 der Zisterzienserabtei St. Urban auch Güter in Langenthal vermacht. Nach dem Aussterben der Langensteiner (1212) erhielt St. Urban von deren Erben (Freiherren von Grünenberg) weitere Schenkungen. Die reiche Abtei litt aber unter Auseinandersetzungen mit den kyburgischen Dienstleuten von Luternau. Als diese Geld benötigten, verkauften sie ihren Besitz in Langenthal an das Kloster (1273-1276). Neben Twingrechten befand sich darunter auch ein festes Haus (propugnaculum), das wahrscheinlich seine Grundmauern beim heutigen Bahnhof hatte. Abt und Konvent von St. Urban übernahmen gegen Ende des 14. Jahrhunderts so die volle Ortsherrschaft. Die Landesherrschaft, verbunden mit dem Recht über Leib und Leben zu richten (Hohe Gerichtsbarkeit) lag bei den Landgrafen von Burgund und das waren seit 1313 die Kyburger Grafen. Bern trat 1406 deren Nachfolge an und Langenthal wurde Teil der bernischen Grafschaft Wangen. 1413 handelten Bern und St. Urban die Gerichtsrechte über Langenthal aus und der Vogt von Wangen übernahm als Vertreter Berns die hohe Gerichtsbarkeit. Beim Kloster verblieben die Grundherrschaft und die niedere Gerichtsbarkeit. Zur Grundherrschaft gehörten seit 1224 auch Wasser- und Fischereirechte an der Langete. Die Mönche leiteten zur Bewässerung der Matten das Wasser ostwärts nach Roggwil ab (heutiger Lauf!), legten "im Weier" ihren Fischteich an und schufen im Langetental die bekannten Wässermatten. Die Lehensbauern, die vom Kloster wirtschaftlich und persönlich abhängig waren, schlossen sich 1420 gegen den Abt zusammen und forderten mehr Nutzungsrechte an Wäldern, Allmenden und an der Langeten (Wässerung, Fischfang). Die Konflikte arteten aus und die eingesetzten Schiedsgerichte bestätigten die Rechte des Abtes und verärgerten die Langenthaler. Am Vorabend der Reformation, während dem grossen Bauernkrieg in Deutschland(1525), formulierten auch sie ihre Protestartikel und äusserten darin ihren Unmut über die Belastungen durch die geistlichen Herren. Durch die Reformation erhofften sich die Langenthaler nicht nur eine geistliche Befreiung, vielmehr auch wirtschaftliche Verbesserungen.


Langenthal als Teil des reformierten Bern
Das Reformationsmandat von 1528 änderte im Dorf wirtschaftlich und rechtlich zunächst wenig. St. Urban behielt die grundherrlichen Rechte. Der einheimische Ammann präsidierte im Namen des Abtes weiterhin das Niedergericht, dem damals auch die beiden Steckholz angehörten. Zusammen mit dem Landvogt wählte der Abt 12 Gerichtssässe. Kirchlich dagegen änderte vieles, auch wenn der Zehnte weiterhin in die klösterlichen Gutshöfe wanderte, denn bis zur Reformation hatten die Bewohner im Dorf zwei verschiedenen Kirchgemeinden angehört. Ein kleiner Teil gehörte zu St. Urban, das 1224 die Grünenberger Eigenkirche auf dem Geissberg als Geschenk erhalten hatte. Dort besorgte ein Priester den kirchlichen Dienst für die Eigenleute des Klosters auf den Höfen Greppen, Aufhaben und Geissberg (rechts der Langete). Der grössere Teil war nach Thunstetten kirchgenössig. Bereits vor der Reformation hatten sich die Langenthaler über den langen Weg zur täglichen Messe durch den Schorenwald beschwert und forderten im Dorf eine eigene Kapelle. Diese wurde zwar nicht gebaut, dafür erwirkten die Gläubigen, dass ihnen ein Messdiener an einem besonderen Altar in der Geissberger Kirche die Messe las. In der Reformationszeit entstand nach einem langen Streit zwischen Bern und St. Urban die heutige Kirchgemeinde (1538). Das Gotteshaus auf dem Geissberg, das 1675/77 die Form der heutigen Hallenkirche erhielt, war nun die offizielle Kirche für alle Langenthaler. St. Urban blieb Patronatsherr in Langenthal. Und der katholische Abt musste bis 1808 den reformierten Pfarrer in sein Amt einsetzen und besolden. In diesem Umstand lag ein beträchtlicher Konfliktstoff, doch es war sowohl den Langenthalern wie dem Abt ein Anliegen, die gegenseitigen Beziehungen zu regeln. Das geschah, als Abt Sebastian Seemann (1535-1551) auf Begehren und unter Mitwirkung der Gemeinde ein umfassendes Twing-Hof- und Dorfrecht aufstellte. Dieses differenzierte bereits zwischen der Gemeinde der besitzenden Hofbauern und der Gemeinde aller Einwohner. Die grundherrlichen Organe (Ammann, Vierer, Bannwarte) wurden verpflichtet, die von der Gemeindeversammlung festgelegte Dorf- und Flurordnung durchzusetzen. Neben dieser neuen äusseren Ordnung erhielt die Gemeinde auch Regeln für das sittliche Leben. Dazu entstanden in Bern auf der Basis der biblischen zehn Gebote Chorgerichtsordnungen, welche die Chorrichter im Dorf durchsetzen mussten. Das Chorgericht beaufsichtigte auch die christliche Unterweisung. Deshalb entwickelte sich die Schule aus der Verantwortung der christlichen Obrigkeit für das Seelenheil ihrer Untertanen. Man erachtete im Wort Gottes unterwiesene Kinder und Dienste als fromme Christen und gehorsame Untertanen. Erste Schulmeister begannen in Langenthal nach 1628 (erste Landschulordnung) zu wirken.


Die Entwicklung zum Marktflecken
Im Laufe des 16. Jahrhunderts nahm in Langenthal die nichtbäuerliche Bevölkerung der Tauner und der Handwerker stark zu. Sie waren auf örtliche Versorgung und auf ein gewerbliches Einkommen angewiesen und standen wohl deshalb hinter dem Gesuch um zwei Jahrmärkte in Langenthal, die Bern 1571 bewilligte. Das 1613 konzessionierte Korn- und Kaufhaus mit Tuchlaube (1808 Neubau, 1894-1992 Gemeindehaus, heute Kunsthaus) und ein Wochenmarkt leiteten in Langenthal wirtschaftlich eine neue Ära ein. Gemäss einer Hausordnung von 1616 diente das Kaufhaus der Getreideversorgung und dem Handel. Es wurde das neue dörfliche Zentrum. Als im alten Siedlungskern um die Kirche der Raum enger wurde, besiedelten Handwerker und Tauner die innere Allmend entlang der Langete. Es entstanden an der Marktgasse erste feste Krämerläden. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts wurde Langenthal als Hauptstapelplatz der Garne und Tuche der Verlags- und Heimindustrie der Oberaargauer Dörfer zu einem Zentrum der Leinwandveredelung (Bleichen, Färben und Walken) und des Leinwandhandels. Händler lieferten diese nach Frankreich, Italien, Spanien und Portugal und wurden reich. 1704 gründeten Langenthaler Handelsleute zusammen mit den Krämern und Gewerblern die Oberaargauische Krämerzunft zum Schutz ihrer Interessen. Der Niedergang der Ostschweizer Leinenindustrie gab der Langenthaler Leinwandproduktion zusätzlichen Auftrieb und der erfolgreiche Handel verhalf dem Dorf zu städtischen Handelsprivilegien (1793), welche den freien Wareneinkauf und den Handel ohne Patentzwang ermöglichten. Auch wenn die Landstrasse von Bern in den Aargau 1756 am Ort vorbei gebaut wurde, konnte sich der Marktort entwickeln. Zeuge dafür ist die 1730 gepflästerte Marktgasse. Die Langete wurde mit steinernen Brücken und Bürgerhäusern überbaut und im 18. Jahrhundert verlieh die systematische Reihenbauweise dem Ort einen städtischen Charakter. Zur positiven Entwicklung Langenthals, wo 1756 189 Häuser und drei Tavernen (Bären, Kreuz, Löwen) standen, trug auch die 1785 eröffnete Brauerei und die Staatsbauten (1748: Obrigkeitliches Zoll- und Lagerhaus) bei. Im Laufe des 18. Jahrhunderts zog eine reich gewordene Oberschicht an die Marktgasse (Familien Mumenthaler und Dennler) aus deren Reihen bedeutende Akademiker (Aerzte, Apotheker, Optiker) stammten. Sie trafen sich in einer Lesegesellschaft, waren politisch und kulturell interessiert und korrespondierten mit führenden Persönlichkeiten des kulturellen Lebens in Europa (Jean Paul oder Johann Heinrich Pestalozzi). In dieser Gesellschaft wurde auch ein obrigkeitskritischer Gedankenaustausch gepflegt. Das zeigte sich politisch daran, dass die Langenthaler 1798 die neue helvetische Ordnung begrüssten, welche das Ancien Régime stürzte. Bereits im Bauernkrieg von 1653 waren die Langenthaler auf der Seite der aufständischen Bauern gestanden und hatten Niklaus Leuenberger im „Kreuz“ empfangen.


Geld und Geist im 19. Jahrhundert – oder das Rütli der Schweiz
Noch um 1800 arbeiteten fast ein Drittel der Langenthaler Erwerbstätigen im Textilsektor. Es war ein harter Schlag für die Ortschaft, als nach 1815 infolge der Mechanisierung der Textilproduktion im Ausland, der Textilhandel stockte. Armut drohte. Aber die Zeit der Krise nahmen die Langenthaler zum Anlass, den Aufschwung zu planen. Zunächst förderten, die von der Aufklärung beeinflussten und während der Helvetik an die Macht gekommenen Langenthaler Persönlichkeiten fortschrittliche Ideen. Man hörte sie anlässlich des ersten eidgenössischen Offiziersfestes, welches 1822 in Langenthal stattfand.
Eine St. Galler Zeitung, welche darüber berichtete, prophezeite: Langenthal wird das „Grütli (Rütli) des 19. Jahrhunderts!“ Vier Jahre später (1826) tagte die Helvetische Gesellschaft in Langenthal, wo der alternde Pestalozzi im Vortrag über „Vaterland und Erziehung“ nochmals seine Lebenserkenntnisse darlegte. Vor allem die pädagogischen Überlegungen zur Menschenbildung hatten im Dorf eine nachhaltige Wirkung und führten zur Gründung der Sekundarschule, der ersten im Kanton (1833). Diese baute auf den Ideen des aussergewöhnlichen Schulmeisters Jacob Eggen (1742 bis 1814) und den Strukturen der Rytzschen Privatschule auf. Die ersten Lehrer, August Hollmann und Dr. Johann Baptist Bandlin waren Pestalozzischüler. Ihre fortschrittliche Pädagogik und humanistische Ethik scheiterte vorerst noch am orthodoxen Dogmatismus des Pfarrers Franck, welcher in der neuen Zeit noch die alte Kirchenschule aufrecht erhalten wollte. Der konservative Pfarrherr vermochte sich aber gegen den aufkommenden Liberalismus nicht zu behaupten. Dieser wurde getragen von einer aktiven Unternehmerschicht, die sich nach dem Sturz der patrizischen Regierung (1831) für ein freies Unternehmertum einsetzte und das Gemeinwesen entsprechend gestalten wollte. Dazu gehörte auch das Einstehen für neue Verkehrswege und Verkehrsmittel. Langenthal fand 1857 Anschluss an die Eisenbahnlinie Olten – Bern und an die Zweigbahnen nach Huttwil (1889), Niederbipp (1907) und Melchnau (1912). Das setzte die Industrialisierung in Gang. Von 1862 bis 1910 entstanden über ein Dutzend Firmen, darunter mechanische Webereien, Maschinen-, Teppich- und Porzellanfabriken, Ziegeleien, Grafische Untenehmen und Bauunternehmen. Die bekanntesten der damals entstandenen Firmen sind die Textilfabrik Gugelmann (1862), die Maschinenfabrik Ammann (1864 in Madiswil gegründet) und die Porzellanfabrik Langenthal (1906) – Firmen, die mit ihren z.T. über 1000 Arbeitsplätzen im 20. Jahrhundert Generationen von Arbeitnehmenden prägten. Die Industrialisierung ist auch verbunden mit der Gründung von Banken: 1823 Amtsersparniskasse (bis 1996), 1884 Kantonalbank, 1867 Bank in Langenthal (bis 1995). Weiter entstanden in diesen Jahren bedeutende Handelsfirmen (Wein, Käse, Eisenwaren). Diese wirtschaftliche Entwicklung war vom Geist des Liberalismus getragen der sich auch im Pressewesen und im kirchlichen Leben zeigte. Der „vaterländische Pilger“ war eine der ersten Zeitungen im Kanton Bern und gehörte zu den angriffigsten liberalen Blättern seiner Zeit. 1852 ging der Pilger im „Oberaargauer“ auf, der als selbstständige freisinnige Zeitung erschien, bis er 1967 in das Langenthaler Tagblatt integriert wurde. Dieses trug bis 1980 den Namen „Langenthaler Tagblatt und Oberaargauer“. 1864 wurde das „Tagblatt für den Oberaargau“ aus der Taufe gehoben (ab 1871 Oberaargauer Tagblatt). Dieses erschien dann von 1920 bis 1967 als „Langenthaler Tagblatt“, bis 1967 die Fusion mit dem Oberaargauer erfolgte. 1980 wurde das Langenthaler Tagblatt Teil in die ebenfalls freisinnige „Solothurner Zeitung“ integriert. Die Lokalredaktion des Tagblattes schreibt noch heute aus Langenthal. Freisinniger Geist wehte auch im kirchlichen Leben und in der 1874 neu entstandenen Kirchgemeinde. Bereits 1871 hatte die Gemeindeversammlung die Abschaffung des bisher bei der Taufe verpflichtenden apostolischen Glaubensbekenntnisses gegen den Pfarrer durchgesetzt. Der Ort wurde dadurch schweizweit bekannt. Die Presse sprach von einer „Revolution in Langenthal“. Die daraufhin während über 60 Jahren dezidiert freisinnigen Pfarrer begründeten den besonderen lokalen sozialen Kulturprotestantismus, indem sie vielfältig beim Aufbau und der Konsolidierung von sozialen und kulturellen Institutionen im frühen 20. Jahrhundert mitwirkten (Sekundarschule, Spital, Krankenpflege, Armenfürsorge, Volkskultur). Diese Tradition wirkt innerhalb der reformierten Kirchgemeinde auch heute noch, besonders in der Vereinigung für eine liberale Landeskirche. Als andere Form des protestantischen Christentums profilierte sich demgegenüber ein biblisch-evangelikales Christentum, welches heute in den zahlreichen Freikirchen in Langenthal in verschiedener Form gepflegt wird. Im frühen 20. Jahrhundert wuchs infolge der Industrialisierung und der zunehmenden Mobilität in Langenthal die Zahl der Katholiken, die sich 1925 in der Pfarrei Langenthal vereinigten. 1954 wurde die Marienkirche in Langenthal eingeweiht.

Entwicklungen zum regionalen Wirtschafts-, Kultur-, Sport- und Bildungszentrum
Dank dem Mitgehen des sozialen und wirtschaftlichen Wandels beim Übergang ins 20. Jahrhundert und trotz den Krisenzeiten während des ersten und zweiten Weltkrieges, entwickelte sich Langenthal im 20. Jahrhundert zu einem regionalen Wirtschafts-, Kultur-, Sport- und Bildungszentrum. Die politischen Voraussetzungen dafür schufen 1919 die Langenthaler Stimmbürger mit der Einführung eines Grossen Gemeinderates (ab 1998 Stadtrat) mit 40 Mitgliedern. Dieser bündelte die verschiedenen politischen Strömungen, die sich im ausgehenden 19. Jahrhundert herausgebildet hatten und bildete fortan das Forum, wo die Gemeindeentwicklung vernünftig debattiert und vorangetrieben wurde. Seit der Reformation war die Gemeinde Untersteckholz kirchlich mit Langenthal verbunden. Nach einem langen, mustergültig vollzogenen Fusionsprozess ist Untersteckholz seit 2009 nun auch politisch ein Langenthaler Gemeindeteil. Neben dem Gemeindeparlament leitet seit 1935 ein neunköpfiger, seit 1997 ein siebenköpfiger Gemeinderat und ein hauptamtlicher Stadtpräsident (auch seit 1935) die Stadt. 1992 wurde das neue Verwaltungszentrum (Glaspalast) eingeweiht. In ihm ist auch die Verwaltung der Burgergemeinde untergebracht. Die Burgergemeinde hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts nach den Güterausscheidungen, die im umkämpften Ausscheidungsvertrag von 1867 geregelt wurden, als eigene Körperschaft des öffentlichen Rechts behauptet. Zu ihr zählen heute 332 Stimmberechtigte. Es sind die in Langenthal heimatberechtigten Personen, die auch im Ort wohnen. Die Bewirtschaftung der 535 Hektaren Landbesitz (73,1% Wald, 19,5% Agrarland, 5,1% Baurechte, 3,3% Gebäude etc.) entwickelte sich zur Hauptaufgabe der Burgergemeinde, die von fünf Burgerräten geleitet und neuerdings von einer Burgerschreiberin verwaltet wird.

Wirtschaft
Grosszügige Gewerbezonen (Hard, Dennli, Steinachermatten) und neue Einkaufszentren, sowie die Nähe zur Autobahn stimulierten die wirtschaftliche Entwicklung in den 1970er Jahren. Heute bietet Langenthal rund 10'150 Arbeitsplätze an. 2609 pendeln täglich auswärts, 5061 kommen jeden Tag nach Langenthal zur Arbeit. Sie arbeiten in einer der 787 Firmen aus allen Wirtschaftssektoren. In Langenthal sind Unternehmen tätig, die weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt sind. So sitzt die Familie, die mit dem Flugzeug in die Schweiz in die Ferien fliegt auf Stoff, der hier entwickelt wurde. Wer in einem Erstklasshotel in Paris diniert, stellt fest, dass das Geschirr den Stempel „Langenthal“ trägt. Wer bei einer Autobahnbaustelle in Polen vorbeifährt, sieht an einer Baumaschine das Logo einer Langenthaler Maschinenfabrik oder wer in Amerika fern sieht, bemerkt plötzlich Werbung für Langenthaler „Oil of Switzerland“. Kaum jemand weiss, dass auch die Pommes Frites, die er bei Mc Donalds in Mailand verzehrt, durch die Hände eines Langenthaler Nahrungsmittelherstellers gegangen sind! – Die Langenthaler Wirtschaft ist im 20. Jahrhundert attraktiv und international geworden. Gegen 180 Produktionsbetriebe, umfassend die Bereiche Handwerk, Baugewerbe und Energiewirtschaft sind in Langenthal beheimatet. Weil viele Firmen in kreativen Branchen tätig sind, wurde der mittlerweile weltbekannte „Designers Saturday“ aus der Taufe gehoben. Eine Veranstaltung, welche alle zwei Jahre am ersten Novemberwochenende Besucher aus der ganzen Welt nach Langenthal lockt und aus dem heraus auch das Design Center in der Alten Mühle entstand. Zahlenmässig viel mehr Firmen als in der Produktion sind im Dienstleistungsbereich tätig, 615. Dienstleister mit Hemd und Kravatte – am stärksten gewachsen ist der Informatikbereich – verdrängen auch in Langenthal den Handwerker und Industriearbeiter im Überkleid. Besonders vermisst werden die Porzellanarbeiter, die nach der Einstellung der Geschirrproduktion in Langenthal ihre Arbeit verloren haben. Gerade in den letzten Jahren hat die intensive Bautätigkeit das Ortsbild verändert. Baufirmen und die im Hausbau tätigen Handwerkbetriebe sind an diesem Aufschwung beteiligt. Im Bereich der Geldwirtschaft gewinnen die Regionalbanken wieder an Stellenwert. Die Energiewirtschaft wurde durch den Verkauf der onyx-Aktien durch die Gemeinde 2005 privatisiert. In den letzten Jahren haben die Grossverteiler ihre Einkaufszentren in Langenthal ausgebaut und neue sind hinzugekommen. Attraktive Einkaufszentren mit neuzeitlichen Angeboten sind an der unteren Marktgasse und im Hübeli entstanden.

Kultur und Sport
Gegenüber einem Dienstleistungszentrum, dem Verwaltungsgebäude, steht das Stadttheater. Der 1914-1916 entstandene imposante Bau steht für den hohen Stellenwert, den die Kultur in Langenthal besitzt. Jahrzehntelang wurde das Theater mit den Aufführungen der dramatisch-literarischen Gesellschaft belebt, später mit Aufführungen des Städtebundtheaters, heute organisiert die Theaterkommission ein attraktives Programm. Zum literarischen Gewissen der Stadt hat sich im Laufe des Jahrhunderts die Regionalbibliothek entwickelt. Sie enthält in der Studienbibliothek sämtliche schriftliche Publikationen, die über Langenthal im Verlaufe des Jahrhunderts erschienen sind. Auch die Publikationen der jeweiligen Stadtliteraten, welche von der Lydia Eymann-Stiftung ein jährliches Stipendium erhalten. Das Langenthaler Kunsthaus wurde 1992 mit einer grossen Ausstellung über den Maler Ferdinand Hodler eröffnet. In seinen Jugendjahren weilte und malte er oft in Langenthal. Seither hat das Kunsthaus mit seinen Ausstellungen schweizweit Anerkennung erlangt. Die Veranstaltungen im „Chrämerhuus“ – das sich aus der traditionellen Spezereihandlung Andres entwickelt hat – beleben die schweizerische Kleinkunstszene. 1984 konnte im alten Zollhaus das Ortsmuseum eingerichtet werden. Neben der Dauerausstellung über die Geschichte der Stadt zieht es mit Sonderausstellungen die Besucherinnen und Besucher an. Diese Langenthaler Kulturinstitute werden von der regionalen Kulturkonferenz unterstützt und präsentieren sich seit einigen Jahren erfolgreich anlässlich der „Kulturnacht“. Nebst zahlreichen Vereinen und Gruppen verschaffen dem musikalischen Leben in Langenthal vor allem die „Kammermusikkonzerte“ (seit 1946) , die Langenthaler Kirchenkonzerte, die Langenthaler Jazztage und die 1990 gegründete Maggini-Stiftung Ansehen. Letztere verfügt über erstklassige Streichinstrumente aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert und stellt diese international bekannten Künstlerinnen und Künstlern zur Verfügung. Heinz Holliger (geb.1939), einer der bedeutendsten Musiker der Gegenwart, hat seine Wurzeln in der Langenthaler Musikkultur. Auch sportlich ist Langenthal zum regionalen Zentrum geworden. Vor allem der Eishockey Spitzenclub der NLB macht den Ort im Land bekannt und im schmucken Sportstadion Hard finden regelmässig internationale Leichtathletikmeetings statt. Mit dem nahen Wald bietet dieses auch Freizeitsportlern ein vorzügliches Betätigungsfeld. Auch die Naherholungszentren auf den Höhen über Langenthal im Osten (Hirschpark) und im Süden (Schorenweiher) führen verschiedene Bevölkerungskreise im naturnahen Geniessen zusammen.

Bildung und Gesundheit
Als regionales Zentrum für Schule und Weiterbildung (BZL) verfügt Langenthal über verschiedene Schultypen. Neben der Volksschule ein Gymnasium (1963), eine Berufsfachschule (herausgewachsen aus der Gewerbeschule, der Gibla [gegr. 1852]), eine kaufmännische Berufsschule (1853), ein Land- und hauswirtschaftliche Zentrum Waldhof (1923), ab 1998 Inforama und der Schule für Gestaltung (2003). Auf der ehemaligen Kniematte entsteht für die Heilpädagogische Schule ein Neubau. Jahrzehntelang wurden am staatlichen Seminar Lehrkräfte ausgebildet (1962-1998) und an der 1900 gegründeten Krankenpflegeschule, erhielt das Pflegepersonal seine Ausbildung (bis 2005). Die Berufsausbildung der Fachangestellten Gesundheit wurde in die Berufsfachschule integriert.
Für die medizinische Betreuung im Oberaargau sorgt das „SRO“ – die Spital Region Oberaargau AG mit dem Regionalspital. In der Klinik SGM werden Krankheiten auf der Basis des biblisch-christlichen Menschenbildes behandelt.

Hochwasser und Volkskultur
Mit der Überbauung der inneren Allmend (18. Jhd.) begannen Hochwasser der Langeten den Ortskern zu bedrohen, so dass man die Marktgasse und die Bahnhofstrasse als Notablässe mit hohen Gehsteigen anlegte, die zu Langenthals „Markenzeichen“ wurden. Immer höher steigende Hochwasser drängten den 1980 gegründeten Hochwasserschutzverband unteres Langetental zum Bau eines Entlastungsstollens.
Der Langenthaler Ortskern ist seit jeher auch Schauplatz der Fasnacht. Sie ist das bedeutendste volkskulturelle Ereignis im Oberaargau, das regelmässig stattfindet. Die einzelnen Cliquen haben für das gesellschaftliche Leben in Langenthal eine Bedeutung erlangt, die weit über die Fasnacht hinausgeht. Zur Volkskultur zählen wir auch die eidgenössischen und kantonalen Feste, welche wegen der zentralen Lage Langenthals und der guten Infrastruktur immer wieder im Zentrum des Oberaargaus abgehalten werden (Eidg. Schwingfest 1983; Kant Musikfeste, 1951 und 1982; Kant.Turnfeste 1921 und 1993; Kant. Jodlerfeste 1928, 1969,1986, 2010; etc.)

Verschiedene Kulturen
Langenthal hat mit 20% einen hohen Ausländeranteil. Viele Menschen aus anderen Kulturen wohnen in der Stadt und können auch ungestört ihre Kultur pflegen (z. B. im Sikhs-Tempel im Dennli). Dennoch entstehen zuweilen Konflikte, besonders wenn im Alltagsleben die andere Kultur zu stark hervortritt.(Diskussion um ein Minarett auf dem Versammlungslokal der islamischen Gemeinde). Auch in der eigenen Kultur führt die durch die elektronischen Medien geförderte Privatisierung und Pluralisierung dazu, dass die Menschen in der Stadt ihr Alltagsleben in Lebenskreisen gestalten, die einander oft nur wenig berühren. Deshalb ist es gut, dass gerade in neuster Zeit wieder an die Kultur der Vernunft und Toleranz erinnert wird, die in Langenthal im 19. Jahrhundert die Freiheit des Einzelnen mit seiner Verantwortung für die Gemeinschaft verband. (Stadtfest 1998, Pestalozzifeier 2008, Armeefest 2009). Diese Kultur macht auch heute die Stadt zu einem lebens- und liebenswerten Ort inmitten der Schweiz.