Langatun und das Kloster St. Gallen. Die erste schriftliche Erwähnung des Ortes
Bei den Grabungen im Unterhard anlässlich der Notgrabungen im Zusammenhang mit dem Projekt Bahn 2000 wurden auch 93 frühmittelalterliche Gräber aus dem 6./7. Jahrhundert entdeckt. Die gefundenen Beigaben lassen vermuten, dass sich die ansässige kelto-romanische Bevölkerung mit Siedlern aus dem burgundischen (Westen; Genferseegebiet) und alamannischen (Osten; Hochrhein, Bodensee) Raum vermischt hat. Es mögen im Unterhard Vorfahren jener freien Alamannen begraben sein, in deren Händen wir im 8./9. Jahrhundert das Langetental und die Dorfmarch von Langenthal finden. Es waren alamannische Siedler aus der Ostschweiz, eine Grosssippe mit dem Leitnamen „Adalgoz“. Wir wissen von diesen Siedlern durch eine Anzahl von St. Galler Urkunden, die zwischen 795 und 886 ausgefertigt wurden. Es handelt sich um Urkunden eines unter sich verwandten Kreises von Personen aus dem Oberaargau. Entsprechend ihrem Leitnamen hat die Forschung diese Personengemeinschaft mit der Sippenbezeichnung „Adalgoze“ bzw. „Adalgozinger“ bedacht. Das Herrschaftszentrum dieser Adalgozinger war, der heutigen Forschung zu Folge, Herzogenbuchsee. Die Oberaargauer Urkunden dokumentieren, dass die Adalgozinger nicht nur das Langetental, vielmehr auch ein grosses Gebiet südlich der Aare und entlang der Emme kontrollierten.
Langenthal ist in einer Urkunde, die am 12. Juli 861 in Mengen im Breisgau ausgesellt wurde, als „Langatun“ mehrmals erwähnt.
In die unten dargestellte Urkunde übertragen ein gewisser Theathart und sein Bruder Buobo ihren erworbenen Besitz in Bäriswil (bei Hindelbank) und in Langenthal dem Kloster St. Gallen. Nach neuesten Forschungen handelt es sich bei diesem Besitz um Erbgut aus dem ursprünglichen Adalgoz –Besitz. Die Brüder Theathart und Buobo, die ihren Stammsitz im Breisgau hatten, waren mit den Adalgozingern verwandt. Zudem stimmt ein grosser Teil der Zeugen der Übertragung mit denjenigen der andern Oberaargauer Urkunden überein. Die beiden Brüder bezeugen, dass sie ihre Güter dem Kloster „zur Rettung ihres Seelenheils“ übertragen.
Weiterführende Literatur:
- Ulrich May: Untersuchungen zur frühmittelalterlichen Siedlungs-, Personen- und Besitzgeschichte anhand der St. Galler Urkunden, Bern 1976
- J.R. Meyer: Zwei Urkunden zur Geschichte Langenthals, Langenthal 1959
Dieser Text wurde von Langenthals ehemaligem Stadtchronisten Simon Kuert verfasst.
Bild: Die Urkunde von 861. Original Pergament Länge 28,5 bis 29 cm. Höhe 16,5 bis 21 cm. Stiftsarchiv St. Gallen