Das erste eidgenössische Offiziersfest
Wer einen Fünfliber zur Hand nimmt und die Sterne der Rändelung zählt, wird an die dreizehn Orte der Alten Eidgenossenschaft erinnert. Die von ihnen in den Jahren 1291 bis 1513 geschaffene und danach – trotz gelegentlich gewaltsam ausgelebter innerer Gegensätze – über die grössten europäischen Kriege hinweg bewahrte Eidgenossenschaft war noch im ausgehenden 18. Jahrhundert ein Beispiel für die Welt. In den jungen USA forderte Patrick Henry seine Zeitgenossen auf, das Schweizer Exempel zu studieren und im revolutionären Frankreich verteidigte Maximilian Robespierre den Frieden mit der Schwesterrepublik. Als Robespierres Nachfolger, weniger prinzipienfest und geldgieriger als der unbestechliche Jakobiner, Heere dann 1798 doch noch auf die Schweiz losliessen, brach die Alte Eidgenossenschaft trotz vereinzelt kräftiger Gegenwehr zusammen. Zu den Verteidigern des Vaterlandes gegen fremde Übermacht gehörte Rudolf Emanuel Effinger.
Nach der zweimaligen französischen Besetzung und dem Durchmarsch der Alliierten, nach politischen Experimenten, einem Mediation genannten klugen Diktat Napoléon Bonapartes und nach einer neuen Aufbruchstimmung im Zeichen des idealisierten Hirtenvolkes von den Unspunnenfesten und vom 1804 uraufgeführten Wilhelm Tell her, fand sich die Schweiz 1815 nur unter Mühen zum Bundesvertrag der 22 Kantone zusammen, territorial einer sehr tragfähigen Lösung, konstitutionell aber einem Rückschritt. Immerhin erreichte die Tagsatzung unter dem Zürcher Hans Reinhard die internationale Anerkennung der Neutralität. Da die Wehranstrengungen 1798 als ungenügend entlarvt worden waren und die Anerkennung der Neutralität durch die Mächte unbestritten und damit die Verteidigung des Landes geistiges Gemeingut war, hatten es in einem sehr konservativen Klima keine Reformen leichter als militärische.
Das Offizierfest 1822 als Impulsgeber
Es erstaunt daher nicht, dass der wichtigste Impuls zur nationalen Modernisierung in Form des Offiziersfestes gekommen ist. Genau so wenig erstaunt es, als Präsidenten des Festes, den integrierend wirkenden Oberst Effinger zu finden: Als Verteidiger von 1798 her war er den Konservativen unverdächtig, während die Liberalen wussten, welcher reformerische Elan dem Gründer von Talkäsereien und Sparkassen innewohnte! Fritz Traffelets Bild hat diese Szene – die Geburtsstunde der Erneuerung der Schweiz aus eigener Kraft – im Bärensaal von Langenthal verewigt.
Der Impuls von Langenthal setzte sich im Schützenfest von Aarau 1824 fort und mündete über mehrere und nach Kantonen unterschiedlichen Etappen schlussendlich in die regenerierte Schweiz, ja in den Bundesstaat von 1848. Der tiefste Sinn des Festes von Langenthal aber war und bleibt die Erinnerung an den Kern dieser Willensnation: «Alles, was sie wollten, waren Schweizer stets durch Einigkeit.» (Text Dr. Jürg Stüssi)
In einer zeitgenössischen Beschreibung des Offiziersfestes, welche unter dem Titel "Description de la fète militaire, qui a eu lieu a Languenthal le 18 juillet 1822“ in Lausanne erschienen ist, wird begründet, warum Langenthal als Festort gewählt wurde: “Zum Zusammentrittsort wurde der schöne Flecken Langenthal gewählt, in einer anmutigen Lage, acht Stunden von Bern entfernt und bekannt durch seine Betriebsamkeit, seinen Wohlstand und die Gastfreundschaft seiner Einwohner."
Weiterführende Literatur:
- Wie das Fest ablief und welche Bedeutung es für das Entstehen der Schweiz hatte, ist nachzulesen in den Langenthaler Heimatblättern von 1937.
- Sämtliche Quellen über das Fest sind im Staatsarchiv Bern gesammelt und im Lesesaal unter B I 278 einsehbar.
Dieser Text wurde von Langenthals ehemaligem Stadtchronisten Simon Kuert verfasst.
Bild: Die zum 1. Offiziersfest geprägte Münze parallelisiert den Mythos der Gründung der alten Eidgenossenschaft auf dem Rütli (Abbildung links ) mit der „Gründung“ der neuen, modernen 22 –örtigen Eidgenossenschaft anlässlich des ersten Offiziersfestes am 18. Juli 1822 in Langenthal (rechte Abbildung).