Die Kapelle beim Kreuz - gefordert aber nie gebaut

1500

Das Bevölkerungszentrum von Langenthal gehörte bis 1538 zwei verschiedenen Kirchspielen an. Während die grünenbergische Eigenkirche auf dem Geissberg als Teil des Klosters St. Urban die 14 Familien der Klosterhandwerker und ihrer Nachfahren versorgte, musste der grössere Teil der Bevölkerung in Thunstetten die Messe besuchen. Deshalb wünschten diese Langenthaler gegen Ende des 15. Jahrhunderts vom Komtur des Johanniterklosters Thunstetten den Bau einer eigenen Kapelle im Dorf.

„Um den Wünschen der Langenthaler (nach bequemer kirchlicher Versorgung) einigermassen entgegenzukommen, erbauten die Johanniter (in Thunstetten) 1505 eine allerdings äusserst bescheidene Kapelle. Sie liegt hinter dem Gasthof zum Kreuz und dient heute als Speicherbenützt wird“ – so schrieb Pfarrer Schedler in seinem berühmten Oberaargauer Wanderbuch. Neuere Forschungen haben aber nun gezeigt, dass diese Kapelle nie gebaut wurde.

Zwar wurde der Baugrund für deren Erbauung bewilligt. Aber der Abt von St. Urban wehrte sich erfolgreich gegen eine kirchliche Konkurrenz im Dorf. Zwei Jahrzehnte stritten sich die Langenthaler mit dem Abt um die Kapelle, bis schliesslich am 8.Dezember 1514, der Rat in Bern den Streit entschied. Aus diesem Entscheid geht hervor, wie die kirchlichen Verhältnisse in Langenthal vor der Reformation waren:

  1. Die Nachkommen der in der Urkunde von 1319 genannten Hospites (Höfe auf dem Geissberg und in der Greppen) sowie die Untersteckholzer gehören zum Kirchspiel mit dem Kirchenzentrum auf dem Geissberg.
  2. Der grosse Teil der Langenthaler Bevölkerung ist und bleibt weiterhin nach Thunstetten kirchgenössig. An hohen Festtagen und in der Karwoche ebenfalls drei Mal in der Woche haben die Langenthaler in Thunstetten die Messe zu besuchen.
  3. Für die Frühmessen dürfen sie neu die Kirche auf dem Geissberg benützen. Das, weil die geforderte eigene Kapelle nicht gebaut werden konnte. An ihrer Stelle wird in der Kirche auf dem Geissberg der „Nebenaltar Sankt Erhards“ gestiftet, den der Komtur von Thunstetten zu unterhalten hat.
  4. Der Priester, welcher die Frühmesse liest, ist ein Bediensteter von Thunstetten und wird von dort besoldet. Ihm wird im Dorf ein Haus zur Verfügung gestellt, damit er die Kirchgenossen betreuen kann (Betreuung der Kranken und Sterbenden). Er darf aber weiter keine pfarramtlichen Pflichten wahrnehmen, wenn sie ihm vom Priester oder vom Helfer in Thunstetten nicht befohlen werden.

Dieser Text wurde von Langenthals ehemaligem Stadtchronisten Simon Kuert verfasst.


Bild: Der Heidenstock im Kreuzhof, den man lange für die Kapelle von 1505 hielt. Abbruch 1953

Der Heidenstock im Kreuzhof, den man lange für die Kapelle von 1505 hielt. Abbruch 1953